Dhikrullah – das Gottesgedenken
Wenn wir im Zustand der rituellen Reinheit zum Zikr zusammenkommen, so ist das eine gemeinsame gottesdienstliche Handlung. Wenn wir das Wort Zikr übersetzen, so heißt es „sich erinnern, gedenken, erwähnen“. Woran erinnern wir uns, wessen gedenken wir und wen oder was erwähnen wir? Efendi sagt, wie er es von seinen Lehrern erfahren hat, dass in jedem Menschen das gesamte Wissen der Menschheit verborgen ist. Das Wissen über den Sinn und Zweck unseres Daseins, unserer Herkunft und unseres Zieles. Jeder Mensch „weiß“, welche Aufgabe er hat und in jeder Seele ist das Wissen um unsere Geschöpflichkeit und um Gott verankert. An all dies können wir uns „erinnern“ und wir können uns auch an den Urvertrag zwischen Gott und den Menschen „erinnern“, so wie es im Qur’an beschrieben ist:
wa id ahada rabbuka min
banī ‚ādama min zuhūrihim durrīyatahum wa ašhadahum
‚alāanfusihia-lastu bi-rabbikum
qālū balā šahidnā
an taqūlū yauma-l-qiyāma
innā kunnā ‚an hādā ġāfilīn(a)
Und als dein Herr aus den Lenden der Kinder Adams ihre Nachkommenschaft
zog und für sich selber als Zeugen nahm (und sprach:)
„Bin Ich nicht euer Herr?“, sprachen sie: „Jawohl, wir bezeugen es.“
Dies, damit sie nicht am Tage der Auferstehung sagen würden:
„Wir hatten davon wirklich keine Ahnung!“ (Sure 7, Vers 172)
Dieses Erinnern oder Wissen entsteht als spontane Eingebung, Sunuh, wenn durch die stete Wiederholung der Gottesnamen der dafür notwendige innere Zustand erreicht ist. Die Gottesnamen benennen Eigenschaften Gottes, die auch jeder Mensch in sich entwickeln kann, bis auf eine: die göttliche Eigenschaft der Rechtleitung ist davon ausgenommen. Wir finden die Gottesnamen, Wazifa, oder 99 Schönsten Namen im Erhabenen Qur’an und in den verschiedenen Sufigemeinschaften werden bestimmte Namen für die Anrufungen während des Zikr bevorzugt.
Während des Zikr werden diese Namen wie zum Beispiel ya allāh / oh Gott oder ya hayy / oh Lebendiger oder ya hū /oh Er oder ganze Sätze wie z.B. bismi-llāhi-rahmāni-r-rahīm / im Namen Gottes, der Barmherzigen, des Allerbarmers oder astaġfiru-llāh /ich bitte Gott um Vergebung oder lā ilaha illā-llāh / es gibt keinen Gott außer Gott oftmals wiederholt, lauter oder leiser, in einem bestimmten Rhythmus und mit einer bestimmten Bewegung verbunden. Es gibt auch andere Formen des Zikr, schweigend und ausschließlich im Sitzen, für den Moment beschreiben wir aber die Form, in der wir in der Kubreviyye- Mevleviyye Tariqa normaler-weise Gottes gedenken.
Die Wiederholung der Anrufungen wirkt gleichzeitig in mehrfacher Weise: Wir hören das Wort oder den Satz und verstehen seine Bedeutung und während wir sprechen, halten wir uns diese Bedeutung im Bewusstsein. Jedes Wort hat einen Klang und dieser Klang erzeugt Resonanz in unserem Körper, der materielle Körper schwingt mit und der Energiekörper reagiert entsprechend des Klangs. Die Konsonanten der Wörter tragen die Qualität, die Vokale die Intensität der Schwingungen. Auf körperlicher und geistiger Ebene kann es zu Reaktionen kommen. Im Körper können Verspannungen spürbar oder Gefühle freigesetzt werden. Der Energiekörper kann sich durch Aktivitäten in verschiedenen Energiezentren bemerkbar machen. Es können innere Bilder oder Erkenntnisblitze entstehen. Was auch immer geschieht, wir sollten versuchen, dieses einfach nur zu beobachten und nicht in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit zu stellen. Es geht nicht darum, dass bestimmte körperliche Sensationen eintreten oder Gefühle aufwallen, es geht auch nicht darum in eine der verschiedenen Formen der Ekstase zu fallen, es geht darum, die Namen Gottes zu wiederholen und mit den anderen Teilnehmern im Einklang zu bleiben. Alle möglichen körperlichen und geistigen Reaktionen sind Begleiterscheinungen auf dem Weg zu Wahrheit, Erkenntnis und Weisheit.
Was bedeutet gemeinsam?
Wir hören auf den Scheich, der den Zikr leitet und auf unsere Nachbarn. Keiner wird lauter als der Scheich, denn wir folgen seiner Anleitung und dazu müssen wir ihn hören können. Wir hören auch auf die anderen im Kreis, denn jetzt kommt es nicht darauf an, dass jeder sein Bestes gibt, sondern es soll ein Gemeinschaftswerk entstehen. Nur wenn wir alle aufeinander hören, können wir die Energiekuppel errichten, unter der der Zikr sich entfalten kann.
Gemeinsam heißt auch, dass wir darauf achten uns im gleichen Rhythmus zu bewegen und im Bewegungsablauf den Vorgaben des Leiters zu folgen. Die meiste Zeit folgen wir dem Zikr mit geschlossenen Augen, aber wenn sich der Rhythmus und/oder das Wazifa, d.h. der Gottesname, ändern, öffnen wir kurz die Augen und gleichen unsere Bewegung an die anderen an. Die gemeinsame Bewegung unterstützt den Zikr und trägt die einzelnen Teilnehmer. Die Gruppe wird zu einer Gemeinschaft und einer unterstützt den anderen auf seinem Weg zur inneren Erkenntnis. Man kann Zikr auch für sich alleine machen, der Zikr in der Gemeinschaft trägt die Einzelnen aber weit über das hinaus. Dieses „Wir“, das wir sonst im alltäglichen Sprachgebrauch benutzen wird spür- und erfahrbar.
Zusammenfassung:
Der Zikr ist eine Art „Gruppenmeditation“ unter Anleitung eines Lehrers/Scheichs. Sprache und Klang, Atem und Bewegung sind die Mittel. Das gemeinsame Sprechen und Bewegen verstärkt die Wirkung. Das Ziel ist die Stärkung unserer Verbindung zu Gott und zu unserem Anteil an der Einzigen Realität. Die Grade der Nähe, die die Teilnehmer erfahren, können ganz unterschiedlich sein. Manchmal entstehen nur für Sekundenbruchteile Zustände der vollkommenen Einheit oder Geborgenheit im Sein. Wenn das Einzige Sein in unser Bewusstsein dringt, finden wir Antworten auf alle Fragen. Klarheit überstrahlt alles.
Diejenigen, welche glauben und deren Herzen im Gedenken an Allah in Frieden sind sollten die Herzen im Gedanken an Allah denn nicht in Frieden sein?
(Sure 13, Vers 28)